TRENDSCOUT
INDUSTRIAL STYLE LIVING

NEUES LEBEN IN DER FABRIK

Bettina Johae ist Mitgründerin von aplusnyc (aplusnyc.net), einem Mitglied des internationalen Guiding Architects Network (guiding-architects.net)
New York liebt den Charme der Industrie. Die deutsche Architektin Bettina Johae über den Industrial Style. Wie ist er in New York entstanden und was hat ihn so populär gemacht?
INTERVIEW: Doris Chevron

Es gibt nicht viele Menschen, die sich in New Yorks Architektur so gut auskennen wie Bettina Johae. Die deutsche Architektin ist Gründerin von aplusnyc (aplusnyc.net). Mit dieser Firma organisiert sie Architektur- und Kunsttouren in der Metropole. 

CI Magazin: Warum gilt New York als Trendsetter beim Industrial Style Living?
Bettina Johae: Durch die Vergangenheit als Hafenstadt gab es hier viele Industriebauten und Lagerhallen. Außerdem war man schon früh gezwungen, neuen, günstigeren Wohnraum zu erschließen. Der wirtschaftliche Druck ist hier stärker. Und: Man hat in New York natürlich eine extreme Ansammlung von Individualisten aus allen Bereichen und von Leuten, die durch diese kreative Energie angezogen werden oder sich davon inspirieren lassen.


Wie definieren Sie denn Industrial Style Living?
Ich verstehe darunter, dass von den industriellen Gebäuden, die zu Wohnraum umgebaut werden, markante Teile erhalten und integriert werden. Man zelebriert die alten funktionalen Elemente, diese tollen großen Fenster, den Sichtbeton, die unverputzten Ziegelwände, die nicht verborgene Haustechnik – Wasserleitungen, Stromleitungen, Sprinkleranlagen, Feuertüren aus Metall. Und natürlich Metall in Form von Stützpfeilern aus Gusseisen. In den Lofts in SoHo sind zudem oft die alten Decken aus Zinn erhalten. Andererseits werden die populären Elemente dieser Lofts bei der Planung neuer Bauten, vor allen Dingen im Luxusbereich, integriert: offene Grundrisse, hohe Decken, Betonböden. 

Wo würden Sie in New York einen Stopp einlegen, um das Thema Industrial Living zu illustrieren?
(Lacht): Fast überall. Es gibt Gegenden, in denen man auf den Spuren der industriellen Vergangenheit an jeder Ecke stehen bleiben kann. Vor allen Dingen im Cast Iron District in SoHo, der ja als Gewerbegebiet gebaut wurde, mit der Textilproduktion – genau genommen waren es Sweatshops – in den oberen Etagen und dem Verkauf der Stoffe in den Ladenlokalen darunter. SoHo wurde dann in den 60er-Jahren von Künstlern umgewandelt zu Lofts mit Lebens- und Arbeitsbereich. 


Gibt es ein gut erhaltenes Beispiel dieses Work-/Living-Konzepts, das man sich von innen ansehen kann?
Das Haus der Judd Foundation in SoHo, in dem Donald Judd gelebt und gearbeitet hat, ist ein tolles Beispiel. Man kann es in kleinen Gruppen besichtigen. Es ist nach langer Renovierungsphase vor ein paar Jahren wiedereröffnet worden. Es ist angeblich das einzige Cast-Iron-Gebäude in SoHo, das heute noch nur von einer Partei genutzt wird. Im Innern stehen die Möbel, die Judd selber entworfen und zum Teil auch gebaut hat, seine eigenen Werke und die Kunst seiner Freunde aus der Zeit. In diesem Haus kann man sich das SoHo der 70er-Jahre gut vorstellen.

„MAN ZELEBRIERT DIE ALTEN FUNKTIONALEN ELEMENTE, DIESE TOLLEN GROSSEN FENSTER, DIE ZIEGELWÄNDE, FEUERTÜREN."

BETTINA JOHAEARCHITEKTIN

Der Trend zum Industrial Living hält also seit damals an?
Der Trend ist stark, er umspannt alle Alters- und Einkommensgruppen. Vom lässigen Stil junger Künstler und Musiker, die die Lofts in Brooklyn im Stadtteil Bushwick umbauen und beziehen, bis hin zum Luxusprojekt. Es ist immer noch ein Stil, der für kreatives Leben steht, oft in Kombination mit Möbeln aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Loftstil kann mit einem eklektischen Mix, mit Antiquitäten, mit Trödel oder auch mit hochkarätigen neuen Möbeln kombiniert werden. 

Es ist immer wieder die Schönheit einzelner Industriebauten, die inspiriert?
Ich denke schon. Ein besonders gut gelungenes Beispiel ist das Wythe Hotel in Williamsburg, eine alte Fassfabrik aus dem Jahr 1901, die von Morris Adjmi Architects mit viel Liebe für die ursprünglichen Details modernisiert wurde. Besonders bemerkenswert: Die alten Holzböden wurden hier erhalten und sind als Decke von unten sichtbar und mit neuen Betonböden überlegt.

Der Trend zum Industrial Living hält also seit damals an?
Der Trend ist stark, er umspannt alle Alters- und Einkommensgruppen. Vom lässigen Stil junger Künstler und Musiker, die die Lofts in Brooklyn im Stadtteil Bushwick umbauen und beziehen, bis hin zum Luxusprojekt. Es ist immer noch ein Stil, der für kreatives Leben steht, oft in Kombination mit Möbeln aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Loftstil kann mit einem eklektischen Mix, mit Antiquitäten, mit Trödel oder auch mit hochkarätigen neuen Möbeln kombiniert werden. 


Es ist immer wieder die Schönheit einzelner Industriebauten, die inspiriert?
Ich denke schon. Ein besonders gut gelungenes Beispiel ist das Wythe Hotel in Williamsburg, eine alte Fassfabrik aus dem Jahr 1901, die von Morris Adjmi Architects mit viel Liebe für die ursprünglichen Details modernisiert wurde. Besonders bemerkenswert: Die alten Holzböden wurden hier erhalten und sind als Decke von unten sichtbar und mit neuen Betonböden überlegt.

„HEUTE SIND LOFTS EKLEKTISCHER, VERSPIELTER UND DADURCH WÄRMER.“

BETTINA JOHAEARCHITEKTIN

Wo kann man sonst noch Hinterlassenschaften von New Yorks industrieller Vergangenheit inhalieren?
In Chelsea, wohin die Galerien in den 90er-Jahren gezogen sind und eine Gegend voller Lagerhallen neu belebt haben. Dann auf der High Line, der ehemaligen Bahntrasse, die jetzt auf zweieinhalb Kilometern als hoch gelegene grüne Promenade dient. Aber auch in Williamsburg, etwa im neuen Domino Park, wo Landschaftsarchitekten industrielle Relikte der ehemaligen Domino Sugar Refinery in die Anlage integriert haben.

SoHo, wie wir es heute kennen, war vorübergehend vom Abriss bedroht …
Der Städteplaner Robert Moses wollte in den 50er- und 60er-Jahren seinen Lower Manhattan Expressway mitten durch den Cast Iron District legen. Er fand dort einfach nichts schützenswert. Zehn Jahre später wurde der ganze Bereich, weltweit vermutlich die größte Ansammlung einer ganz bestimmten Gusseisenarchitektur, unter Denkmalschutz gestellt.

Ist Industrial Design Living nicht ursprünglich ein sehr maskuliner Stil? Wie sorgt man dafür, dass dieser Stil nicht zu kalt und unnahbar wirkt?
Heute sind Lofts eklektischer, verspielter und dadurch wärmer. Bei High-Tech Style denke ich an Metall und Minimalismus. Der Trend zur Wiederverwendung von altem Holz ist in den letzten zehn, 15 Jahren entstanden. Möbel und Kücheninseln und -oberflächen werden aus den alten Deckenbalken gebaut. Außerdem gibt es inzwischen mehr Mut zur Farbe, zu Tapeten, und zu Stoffen. Im Wythe Hotel wurden zum Beispiel Tapeten von örtlichen Designern mit Bezug zur Umgebung entworfen. Darauf sieht man den Wasserturm, auf den man auch aus dem Fenster schaut.  

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