TRENDSCOUT
NEUES DESIGN AUS CHINA

AUF DER SUCHE NACH IDENTITÄT

Bounce Chair von Ziinlife mit elastischer, hochgebogener Sitzfläche.
Einige der spannendsten Entwicklungen im Möbeldesign sind derzeit in China zu beobachten. Viele Jahre lang die Werkbank der Welt, macht sich das Land auf, mit originaler, ästhetisch eigenständiger Gestaltung ein Big Player zu werden. Unabhängige Studios beleben die Designszene und haben das Potenzial, auf der internationalen Bühne mitzuspielen.
TEXT: Markus Schraml

Chinesische Möbeldesigner können nicht auf eine kontinuierliche Entwicklung aufbauen. Wohl aber gibt es eine lange Tradition des Einrichtens mit einem ästhetischen Höhepunkt während der Song-Dynastie (960 bis 1280), aber seitdem „verfällt die chinesische Kultur und Ästhetik bis zum heutigen Tag“, so die Einschätzung von Jamy Yang, Gründer von Yang Design, einer der wichtigsten Designagenturen des Landes, die regelmäßig Studien zu Designtrends in China veröffentlicht.

Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung habe das Land begonnen, „nach einer Identität in den Bereichen Kultur, Kunst, Architektur und Design zu suchen, in der Hoffnung, eine eigene, einzigartige, differenzierte Ästhetik zu entwickeln“, erklärt Yang. Und so wird der Wunsch nach Eigenständigkeit bei jungen Kreativen immer stärker. An den besten Schulen in Mailand oder London ausgebildet, kehren sie zurück in ihre Heimat, um an der Entwicklung einer eigenen chinesischen Designsprache mitzuarbeiten. Aus diesem Aufeinandertreffen von Internationalität und Regionalität entstehen Möbel und Einrichtungsaccessoires, die, so unterschiedlich sie auch sein mögen, das neue chinesische Design repräsentieren.
An der Spitze dieser Entwicklung steht neben einigen anderen Frank Chou. Seit 2012 führt er sein Designstudio und zeigt, was moderne chinesische Designsprache sein könnte. So frischt er in der jüngsten Kollektion den klassischen Armlehnstuhl ästhetisch auf, indem er Wolle, Stoffe und Metall kombiniert. Dazu kommen traditionelle Materialbearbeitungstechniken zum Einsatz, etwa Paspelierungen, Plisseekanten oder knopfförmige Zugschnallen. So wirkt das Sofa Combo mit seinen unterschiedlichen Elementen wie eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Freunden, die eines gemeinsam haben: die hochqualitative Ausführung. Es erinnert zwar ein wenig an das Sofa Polder von Hella Jongerius für Vitra, geht aber in seiner Konsequenz einen Schritt weiter.

Eine weitere, von Anfang an erfolgreiche Möbelmarke ist Fnji. 2010 vom Designer Gao Guqi gegründet, sind die Vorbilder für viele der Stühle, Regale, Sofas und Wohnaccessoires traditionelle chinesische Objekte. Mit der High-End-Produktlinie Crest Line von 2019 zeigte das Unternehmen erstmals neben Massivholz weitere natürliche Materialien wie Leder, Wolle und Stein in verschiedenen Variationen. Viele junge Designer in China haben mittlerweile ein Bewusstsein für die eigene Kultur entwickelt und schöpfen daraus Inspiration. So verknüpft Shiershiman („12 Stunden“) mit dem Mulan Chair oder der Fisherman Floor Lamp Modernität und Althergebrachtes. Die Tradition als Ideenhintergrund und mithilfe innovativer Techniken werden neue Formen entwickelt. So stellte das Kreativteam für den Stuhl Mulan Computerberechnungen an, um die Grenzen des Designs auszutesten. Die Fisherman-Leuchte evoziert ein altes, romantisches Chinabild.
Modernes chinesisches Design lebt von der Wiederentdeckung und Wiederbelebung traditioneller Handwerkstechniken und -materialien, die für ganz eigene formale Lösungen eingesetzt werden. Die reiche chinesische Kultur bietet dazu den idealen Nährboden. Und obwohl die Rezeption der westlichen und japanischen Designgeschichte wie selbstverständlich mit einfließt, ist Kopieren und Plagiieren für diese Designergeneration kein Thema mehr. Vielmehr geht es um den brennenden Wunsch, eigenständiges Design auf die internationale Landkarte der Möbelgestaltung zu setzen.

csm_B_DSC09768-1_Kopie_2db858d87d.jpg