NACHHALTIGKEIT
CI MAGAZIN

DER NEUE LUXUS

Jochen Kirch Geschäftsführer Peperoni – Kommunikationsagentur für gesellschaftlichen Wandel
Der neue Luxus
AUTOR: Jochen Kirch

Pandemie, Krieg, Inflation, Klimawandel. Vieles von dem, was wir gerade erleben, ist kein neuartiges Phänomen. Auch nicht das Aufeinandertreffen in dieser zeitlich engen Abfolge. Die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts lassen grü.en. Doch viel wichtiger als berechtigte Querverweise ist die Frage nach dem, was daraus folgt. Und das ist mehr als nur ein Trend.

Der gesellschaftliche Wandel, seit Jahrzehnten nur ein verbales Konstrukt, ist endlich in Bewegung geraten: Luxusautos, Yachten, Kreuzfahrten – vor dem Hintergrund des Klimawandels geraten frühere Statussymbole ins Kreuzfeuer. Das einst wichtigste Merkmal von Luxus, nämlich eine durch einen hohen Preis gekennzeichnete Exklusivität, scheint zunehmend an Bedeutung zu verlieren. Stattdessen gelten Werte wie Freiheit, Freizeit, aber auch exklusive Erlebnisse als neuer Luxus, einhergehend mit dem wachsenden Bewusstsein für soziale, ökonomische und ökologische Zusammenhänge, das künftige Kaufentscheidungen maßgeblich beeinflusst. Das setzt Unternehmen und Entscheider unter Druck. Denn um am Markt bestehen zu können, müssen auch sie sich wandeln oder besser: vorangehen und den unaufhaltsamen Wandel in ihrem Sinne gestalten. Der Druck kommt dabei aber auch noch von einer anderen Seite: Schwindende Ressourcen und steigende Energiekosten erfordern auch hinsichtlich der Produktion von Produkten einen Kurswechsel. Es geht längst nicht mehr um ein Schneller, Höher, Weiter. Sondern um Substanz und die Frage nach dem Sinn. 

LANGLEBIGKEIT HAT GESCHICHTE

Nicht nur wir Menschen stecken voller Geschichten, auch die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, sind eng mit uns und unserem Erleben verbunden. Über die Jahre werden sie so über ihre eigentliche Funktion hinaus zu geliebten Erinnerungsstücken. Dinge von emotionalem Wert, die, je länger sie in unserem Besitz sind, umso mehr an persönlicher Bedeutung gewinnen. Um diesen Anspruch erfüllen zu können, dürfen ausschließlich hochwertige und echte Materialien verwendet werden, die in Würde altern. Daneben ist die Reparierbarkeit ein wichtiges Kriterium zur Akzeptanz des Produkts.

VERERBEN STATT WEGWERFEN

Vom Gebrauchtwarenhaus bis hin zum Designklassiker, der über Generationen hinweg in der Familie bleibt: Das Ende der Wegwerfgesellschaft ist unvermeidlich. Statt Müll gibt es künftig nur noch Wertstoffe, Produkte werden auch nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer nicht mehr zu Abfall, sondern werden in einem möglichst immerwährenden Kreislauf gehalten. Für Luxusgüter bedeutet das, dass Merkmale wie Langlebigkeit, eine dauerhafte Nutzung und ein hoher Wiederverkaufswert zur Grundvoraussetzung werden. Aus wertvoll wird wertbeständig. Wer in Luxusprodukte investiert, wird vom:von der Verbraucher:in zum:zur Gebraucher:in. 

INDIVIDUALISIERUNG ERMÖGLICHEN

Der Massenmarkt hat ausgedient, Individualisierung ist der neue Luxus. Es geht nicht mehr darum, das zu haben, was alle haben, sondern aus der Masse hervorzustechen. Ob Maßanzug oder individueller Sofabezug – auf den eigenen Bedarf zugeschnittene Dinge bringen die eigene Geschichte schon mit. Diese per se gegebene Beziehung zwischen Besitzer:in und Besitztum führt unweigerlich zu einer längeren Lebensdauer als bei herkömmlicher Massenware und wird dazu als wertiger wahrgenommen.

REGIONALITÄT WERTSCHÄTZEN

Fernreisen haben an Exotik verloren, auch Dinge müssen nicht mehr um den halben Globus reisen, um Begehrlichkeiten zu wecken. Im Gegenteil: Regionalität hat durch die Erfahrung in der Coronazeit und mit gestörten Lieferketten eine neue Wertschätzung erfahren. Nicht nur das Leben auf dem Land, auch die heimische Produktion von Gütern hat an Ansehen gewonnen. Regionale Produkte werden als individuell und identitätsstiftend wahrgenommen.

DER WEG IST DAS ZIEL

Das Reisen selbst gewinnt wieder an Wert. Anstatt mit dem Flugzeug an entlegene Orte zu gelangen, erfahren Zugreisen gerade eine Renaissance. Wer es sich leisten kann, nimmt sich die Zeit für eine „bewusste“ Anreise mit dem umweltfreundlichsten aller Reisemittel. So wird der Weg zum Reise-Erlebnis und das eigentliche Ziel verliert an Bedeutung.

QUALITÄT VOR WACHSTUM

Einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, anstatt sich für Wachstum aufzugeben. Statt immer neuer Zielvorgaben müssen Unternehmen Haltung bewahren und ihre Produkte ganz im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit langlebig und qualitativ hochwertig gestalten. Das gilt insbesondere für das Luxussegment. Produkte, die dazu einen hohen Designanspruch haben, genießen herkömmlichen Konkurrenzprodukten gegenüber einen deutlichen Wettbewerbsvorteil, indem sie Neukunden gewinnen, die durch den Kauf ihrer Produkte eine umweltfreundliche Überzeugung zum Ausdruck bringen. Für viele Menschen scheint die aktuelle Lage Grund genug, sich aus Trotz in ein „Jetzt erst recht!“ zu flüchten, alte Stadtschlösser wieder aufbauen zu wollen oder Babylon in Berlin und Hollywood hochleben zu lassen. Frei nach dem Motto: Ist das Geld nichts mehr wert, kann ich es ebenso gut ausgeben. Bemerkbar macht sich diese Reaktion auch in steigenden Absätzen bei Luxusgütern, einer neuen Opulenz. Langfristig jedoch erleben wir dahingehend einen Wertewandel. Luxus wird sich nicht mehr nur auf das Materielle beschränken, sondern kann auch „erlebt“ werden. Und Gegenstände zählen nur dann als Luxus, wenn sie durch Eigenschaften wie langfristigen Gebrauch, Reparaturfähigkeit, Vererbbarkeit oder hohe Wertstabilität gekennzeichnet sind. Der neue, substanzielle Luxus ist geprägt von einem hohen Designanspruch und umweltfreundlichem Denken. Das gilt nicht nur für hochwertige Möbel, Designklassiker, wie wir sie von den Creativen Inneneinrichtern kennen, mit denen wir gemeinsam Leitlinien für künftiges Handeln entwickelt haben. Auch in anderen Bereichen, so zum Beispiel bei Deutschlands größtem kommunalen Stadtreinigungsunternehmen, für das wir 13 Jahre lang als Sprachrohr der Müllvermeidung fungiert haben, konnten wir diese Entwicklung beobachten – und den Wandel erfolgreich begleiten. Viele Unternehmen stehen noch ganz am Anfang dieses Veränderungsprozesses. Und auch in den Köpfen vieler Verbraucher:innen hält sich beharrlich das Klischee, Umweltverträglichkeit stünde den typischen Eigenschaften von Luxusmarken diametral entgegen. Da braucht es kluge Kommunikation in alle Richtungen – um vorbereitet zu sein auf das, was kommt.

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