Kreislauf
Zirkuläres Bauen
Architekt Ingo Pott denkt das Thema Wohnen neu

Die Wohnwende

Ingo Pott studierte von 1992 bis 1998 Architektur an der Technischen Universität Berlin und war noch während seines Studiums im Team von Norman Foster an der Sanierung und Umgestaltung des Berliner Reichstagsgebäudes beteiligt, einem Pionierprojekt, das noch immer als wegweisendes für nachhaltige Architektur gilt. Bis 2005 war er bei Foster + Partners als Associate tätig, bevor er mit Studios Pott Architects GmbH Berlin sein eigenes Architekturbüro gründete und eine Vielzahl an nationalen und internationalen Projekten realisierte. 2020 ging Ingo Pott nach Australien und pendelt seitdem zwischen Brisbane und Berlin.
Autorin: Catherine Hug

IDENTITÄTSSTIFTENDE ARCHITEKTUR AUS HOLZ

Die Technologien und Materialien für eine nachhaltige Bauwende sind längst vorhanden. Lösungsansätze für den drängenden Mangel an bezahlbaren Wohnraum ebenso. Was bisher fehlte, ist die visionäre Verbindung dieser Elemente – ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch überzeugt, im besten Falle kreislauffähig ist. Einer, der voran geht und es „einfach“ macht, ist Ingo Pott.
Mit einem Bürogebäude aus Holz zeigte der Architekt bereits 2015, wie man nachhaltige und identitätsstiftende Architektur schaffen kann. Das Chamäleonhaus in Berlin, Sitz des nachhaltigen Reiseveranstalters Chamäleon, vereint einen besonderen Umgang mit dem Baustoff Holz, nachhaltigen Technologien und kreislauffähigen Materialien unter einem Dach – und reflektiert zugleich die besondere Kultur des engagierten Tourismusunternehmens.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur, soziales Engagement bei seinen Reiseangeboten und in der gesamten Unternehmensführung: „Das Unternehmen hatte von Anfang an Nachhaltigkeit in seiner DNA, was sich perfekt mit meiner architektonischen Vision verband“, beschreibt Architekt Ingo Pott den nachhaltigen Reiseveranstalter Chamäleon. Für dessen Gründer und Geschäftsführer Ingo Lies hatte Pott bereits einige Jahre zuvor das Wohnhaus der Familie gebaut. Begeistert von dem Prozess, aus dem sich die Architektur heraus entwickelte, beauftragte er Ingo Pott erneut. Als Sparring-Partner“, wie Pott sagt, bei der Entwicklung einer für das Unternehmen passenden Bühne.
Der neu zu erbauende Firmensitz sollte den Mitarbeitern bereits über die Architektur ein Gefühl der Zugehörigkeit zu dem durch und durch nachhaltig agierenden Unternehmen vermitteln: aus nachwachsenden Rohstoffen und damit komplett rückführbar und mit eigener, nahtlos in die Architektur integrierten Photovoltaik-Anlage zur Energiegewinnung.
„Ich wollte einen Holzbau machen, der nicht aussieht wie der klassische Holzbau“, beschreibt Ingo Pott den Entwurf, der zu einer Zeit entsteht, in der das Thema „Nachhaltig bauen“ noch keines ist. Mit dem Chamäleonhaus will er etwas Neues zu schaffen: Identitätsstiftende Architektur statt österreichischer Alpenhütte.

Und das ist ihm gelungen: Das Gebäude, das die mit der klassischen Häusleform spielt, aber dank gestaffelter Höhen und gegeneinander versetzten Schichten geradezu leicht wirkt, zeigt einen neuen Umgang mit dem nachwachsenden Rohstoff.
Frei vom städtischen Kontext scheint das Gebäude aus der Landschaft herauszuwachsen. Doch nicht nur die zeichenhafte Form des mehrgeschossigen Holzbaus ist etwas besonderes, auch die verwendete Technologie ist in den 90er Jahren noch wenig erprobt: „das Thema CLT war damals noch ganz neu und noch nicht großindustriell ausgebildet wie das heute der Fall ist. Wir waren Pioniere in der Verwendung dieser Holzbautechnik in Deutschland“, erklärt Pott seine Vorreiterrolle bei der Verwendung von Cross Laminated Timber (CLT), auch Brettsperrholz genannt. Die kreuzweise verleimten Holzplatten verbinden praktische Vorteile wie Stabilität, eine schnelle, trockene und präzise Bauweise, natürlichem Brandschutz mit positiven Wohneigenschaften wie Raumklimafreundlichkeit und ökologischen Alleinstellungsmerkmalen und werden deshalb zunehmend als Alternative zu Beton und Stahl eingesetzt. „Vieles war technisch noch nicht normiert, spezielle Bauvorschriften für Großformen aus Holz gab es noch nicht.
So war zwar alles reguliert, aber man musste immer wieder adaptieren und Sonderlösungen diskutieren.“ Immer wieder gab es neue bürokratische Hürden, die genommen werden mussten, bis das Gebäude schließlich realisiert werden konnte.

»DAS CHAMÄLEON-HAUS WAR DIE RICHTIGE LÖSUNG ZUM FALSCHEN ZEITPUNKT.«

In den Innenräumen beließ es der Architekt bei der nackten Struktur: Holzböden, Holzdecken, dazu sichtbar an der Oberfläche verlaufende Kabel und Leitungen. Eine Maßnahme, die zur sowohl zur Nachhaltigkeit wie zur Wirtschaftlichkeit des Projekts beitrug, aber nicht nach einer Sparmaßnahme aussieht. „Das Holz hat seine eigene Ästhetik. Das muss man nicht verkleiden, nicht anstreichen, nicht verputzen“, kommentiert Pott den rohen Charakter im Innern.
Als gebautes Abbild der in Länder unterteilten Unternehmensstruktur entstanden im Innern Einzel- und kleine Teambüros, zusammengefasst nach Reiseländern und Regionen. Sie bieten den Mitarbeitern ein optimales Arbeitsumfeld: „Es wird sehr viel telefoniert, das erfordert eine ruhige und konzentrierte Umgebung. Gleichzeitig müssen sich die Mitarbeiter derselben Region intensiv miteinander austauschen“, erklärt Architekt Pott den seriellen, übereinander gestapelten Grundriss mit durchgehenden Wänden, dem zentralem Treppenhaus und einer offenen Gemeinschaftsfläche im Erdgeschoss. Im Dialog mit dem Bauherren entwickelte sich diese als Ort der Interaktion gedachte Fläche zur unternehmenseigenen Caféteria. Mit eigens eingestellten Köchen wurde das gemeinsame Essen zu einem festen Teil der Unternehmenskultur.
„Architektur ist immer ein Dialog, ein Prozess aus Fragen, Verstehen, Diskutieren, in Optionen Denken. Die Architektur, die aus diesem Prozess heraus entsteht, bietet nicht nur eine Identifikationsmöglichkeit, sondern beeinflusst umgekehrt auch das Unternehmen selbst in seiner weiteren Entwicklung.“

»ES IST EIGENTLICH EIN ÜBEREINANDER GESTAPELTES DORF.«

Sein aktuelles Projekt Heymat hat Pott, der sich seit seinem Studium mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt, als Antwort auf die Herausforderungen des Wohnungsbau in Deutschland konzipiert. Es ist ein zukunftsweisendes Konzept, das nachhaltiges Bauen, soziale Gemeinschaft und wirtschaftliche Tragfähigkeit in einer Zeit vereint, in der bezahlbarer Wohnraum Mangelware ist. Mit seiner Vision einer Wohnwende will Ingo Pott architektonisch wie gesellschaftlich neue Maßstäbe setzen. Auslöser dafür war ein Grundstück an der Ostsee, von Pott noch in „alten Zeiten“ erworben: „Ich hätte siebengeschossige Häuser darauf errichten müssen, um es nach Baukosten wirtschaftlich zu nutzen.“ Für ihn keine Option. Er will die Dinge anders machen, möchte bezahlbaren Wohnraum schaffen und bezieht bei seiner Suche nach einer innovativen Lösung die gesamte Wertschöpfungskette des Wohnens mit ein. Usedom, nunmehr „nur“ noch ein Pilotprojekt und der Auftakt für einen bundesweiten Siedlungsbau, mit dem der Architekt und sein Team Teil der Lösung des Problems Wohnraummangel sein wollen. Maklercourtage, Notarkosten, Grundsteuer – alles wird Teil des Projekts Heymat, sogar eine eigene Wohnungsbaugesellschaft, die dafür sorgen soll, dass die Mieten in der Siedlung langfristig bezahlbar bleiben. „Es ist nicht aus der Kapitelbrille als Architekt geguckt: ich baue einen seriellen, modularen ökologischen Holzbau, der nachhaltig ist. Heymat ist das große Ganze. Angefangen bei: Wo sind die Orte, wo wir leben wollen? Wo sollen wir diese Siedlungen bauen? Wo ist der Bedarf? Über: Wie funktioniert der Prozess, die Grundstücke zu bekommen?“

»HEYMAT BEZIEHT DIE GESAMTE WERTSCHÖPFUNGSKETTE DES WOHNENS MIT EIN.«

Die Architektur selbst soll den Wandel sichtbar machen. Statt gesichtsloser Containerbauten, soll jede Heymat Identität stiften. Mit Loggien und Farben – wie eine skandinavische Holzsiedlung. Solaranlagen und Balkonkraftwerken sollen den Nutz- und Betriebsstrom der Bewohner zu hundert Prozent decken. „Es ist notwendig, dass wir das Thema Nachhaltigkeit auch in einer Ästhetik bauen, die es transportieren kann“. Geplant sind Siedlungen mit je drei typengleichen Clustergebäuden, die die Balance zwischen modularer, serieller Bauweise und der Einhaltung aller Anforderungen an Nachhaltigkeit, Ökologie, Energie halten. In den dreigeschossigen Gebäuden sind jeweils unterschiedlich großen Wohnungen untergebracht: vom Einzimmer-Apartment über Zweizimmerwohnungen bis hin Dreizimmerwohnungen (zusammen schaltbar aus Einzimmer-Apartments und Zweizimmerwohnungen), allesamt barrierefrei und eingebettet in eine parkähnliche Umgebung.

Um die Baukosten zu optimieren, hinterfragten Pott und sein Team auch die seit 1950 stetig wachsende durchschnittliche Wohnfläche. Als eine Entwicklung, die völlig aus dem Ruder gelaufen sei, beschreibt Pott die Tatsache, dass diese pro Bewohner zwischen 1990 und dem Jahr 2022 von 34,6 auf 47,5 Quadratmeter angewachsen sei. Orientieren werde man sich deshalb an den Größen von 1990. „Ein wohnliches Maß mit offenen Grundrissen, so dass man eigentlich mehr Qualität statt Quantität bekommt“, ist sich der Architekt sicher. Er sieht in dem scheinbaren Verlust an Fläche für jeden Einzelnen vor allem die Chance der Befreiung und dem Wandel hin zu einem neuen und leichteren Lifestyle der Bewohner, die in Heymat zu einer neuen Gemeinschaft werden. Ein eigene Ordnungscoachin im Team hilft deshalb bei Bedarf beim Downsizing. 
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch der soziale Aspekt im Konzept Heymat. Denn: um wirklich anzukommen, sich daheim zu fühlen, brauche es eine schöne Gemeinschaft, eine „Familie, die aufeinander achtet“, so Pott. Gemeinschaftlich nutzbare Aussenanlagen, Gemeinschaftsräume in jedem Haus und zentralisierte Waschsalons als soziale Anker einer jeden Heymat sind deshalb fester Bestandteil der Planung, mit der Architekt Ingo Pott Antworten auf das Thema Wohnen 2050 gefunden hat. „Wie werden wir künftig wohnen und auch zusammen leben? Mit Heymat machen wir alles, was man heute machen kann: wir sind klimapositiv, wir bieten sichere und stabile Verhältnisse, ein schönes Umfeld. Wenn man hier lebt, lebt man einen Standard, wie es die nächsten 20 Jahre gut ist – aber man kommt da natürlich nur hin, wenn alle Beteiligten ihren Beitrag leisten.“

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