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BLICK IN DIE ZUKUNFT

ALLES DIGITAL

Bezahlen per Handy-App ist Standard – auch auf dem Wochenmarkt.
Ob smartes Co-Living, innovative Arten des Einkaufens oder selbstfahrende Autos – China gibt Vollgas bei der Digitalisierung. Es entsteht eine neue Urbanität, die den Alltag drastisch verändert. Vieles davon wird bald auch hier Realität sein.
TEXT: Christiane Kühl

Mit dem Smartphone bezahlen? In Shanghai, wo das Smartphone längst zum Alltagsgerät geworden ist, blitzen in jeder Garküche, auf jedem Marktstand zwischen gedämpften Teigtaschen oder farbenfrohen Gemüsebergen mindestens ein grün und ein blau eingefasster QR-Code: Grün steht für WeChat, Blau für Alipay, den zweiten großen Mobilbezahldienst in China. Doch die Alleskönner-App, mit der viele Chinesen ihren Alltag organisieren, ist WeChat. Mit rund einer Milliarde aktiven Usern bietet sie hunderte Funktionen: vom Bezahlen von Gas und Wasser über die Reservierung von Flugtickets bis hin zum Einkauf in kleinen Onlineshops. Mit der Service-App Meituan lassen Städter sich Mahlzeiten liefern, reservieren Tische in Restaurants, kaufen Kinokarten, finden die nächste Autowaschanlage, buchen einen Raum in der Karaokebar oder arrangieren Hochzeitsfotos. Meituan hat nach eigenen Angaben 380 Millionen aktive Nutzer, die pro Tag 19 Millionen Transaktionen über die Plattform abwickeln. Parallel zur Digitalisierung boomt die rasante Urbanisierung des Landes. Mehr als die Hälfte der Chinesen leben in den Städten; gut 20 Millionen von ihnen allein in den Hochhäusern Shanghais.

Bei neuen Büros und Wohnungen wächst die Nachfrage nach fest installierter Technik. „Wir als Designer werden immer gefragt, wie wir möglichst viel Digitales unterbringen können“, sagt Nina Yu, Director beim Innenarchitekturbüro Facility Asia. „Da ist China weit voraus.“ Zu den angefragten Features gehören laut Yu interaktive Touchscreens in Auto-Showrooms, Raumroboter zum Saubermachen in Hotels und viele, viele Bildschirme. Für das Co-Living-Unternehmen Stey entwarf Facility Asia die Zimmer. Bewohner öffnen die Tür mit einem Code, Kameras erkennen das Gesicht jedes Mieters.

Die Stey-Smart-Home-and-Community-App steuert Licht und Vorhänge und zeigt an, wie viele Bewohner sich gerade in den Gemeinschaftsräumen oder im Fitnessstudio aufhalten. Will ein Mieter sein Zimmer während einer Reise kurzfristig untervermieten, verwandelt er es mit der App in ein Hotelzimmer: Das Bett wird gedreht, Klamotten, Privates und Unordnung verschwinden hinter einer abgeschlossenen Schrankwand, dafür öffnen sich Regale für die Kurzzeitgäste. „Dies so zu designen, dass es funktioniert und attraktiv aussieht, war die größte Herausforderung“, sagt Yu. Für die junge, mobile Generation Chinas ist Co-Living das Wohnen der Zukunft. Shanghai zieht seit Jahren junge Selbstständige aus dem Kreativ- und Techbereich an. Die teure Stadt ist daher prädestiniert für Co-Living und Co-Working. Die Immobilienfirma SOHO China etwa wirbt für ihre 3Q-Co-Working- Spaces mit digitalen Funktionen: 3Q-Mitglieder zahlen per App, reservieren Meetingräume oder schauen, wann in welcher Filiale interessante Events stattfinden.

„WAS GIBT ES AN NEUER TECHNOLOGIE UND WIE KÖNNEN WIR SIE NUTZEN?“

KARIN HEPPANYSCALE ARCHITECTURE DESIGN

Statt Rezeptionisten gibt es am Eingang Geräte, die den Fingerabdruck einlesen. SOHO „überschreitet die Grenze zwischen Immobilien-
und Internetwirtschaft und konzentriert sich auf die mobile Generation technologisch versierter Menschen, die aus der Ferne arbeiten“, beschreibt sich das designaffine Unternehmen auf der Plattform coworker.com, die in Shanghai 90 Co-Working-Spaces ausweist.
„Die Menschen sind sehr offen und fragen: Was gibt es an neuer Technologie, und wie können wir sie nutzen?“, sagt Karin Hepp, Founding Partner von anyScale Architecture Design, das 26 der 3QSpaces entwarf. Sharing ist Trend bei jungen Chinesen – ob beim Büro oder beim Auto. „Immer mehr Chinesen entscheiden sich für Mobilität in Form einer Dienstleistung anstelle des Besitzes eines Autos“, sagt Michael Dunne, US-amerikanischer Experte für chinesische Mobilitätstrends. Das hat Folgen fürs Design: Chinesische Elektro-Start-ups wie Byton, NIO & Co. entwerfen Autos mit riesigem Touchscreen oder auch mal ganz ohne Lenkrad, dafür mit einem Loungesofa als Rückbank. Dort kann der Passagier dann ganz bequem per App einkaufen.

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